LpZ Stuttgart
News

Fanfiction: Kreative Vielfalt und Potenziale im Unterricht

Karten mit weihnachtlichen Begriffen und kleinen Illustrationen als Schreibanlass.

von: Kim Hesse, Wiss. Hilfskraft Institut für deutsche Sprache und Literatur, und Ulrike Wörner, Dozentin am LpZ

Fanfiction: Kreative Vielfalt und Potenziale im Unterricht

In einer Zeit, in der Geschichten über Bücher, Filme und Serien hinaus in unser Leben greifen, bietet Fanfiction eine großartige Möglichkeit, diese Erzählungen zu erweitern, neu zu interpretieren oder sogar völlig zu verändern. Es handelt sich dabei um eine Form des kreativen Schreibens, die auf bestehenden Werken basiert und sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen beliebt ist. Fanfiction eröffnet Räume, in denen Fans zu Autor:innen werden, um ihre eigenen Ideen und Emotionen in die Texte einzubringen, die sie lieben.

Zugleich ist diese Art des Schreibens nicht nur ein kreativer Zeitvertreib, sondern bietet großes Potenzial für die Bildungsarbeit und den Deutschunterricht. Mit einer Schreibwerkstatt speziell für Lehrkräfte soll Fanfiction als Konzept für den Unterricht gedacht werden. Ziel ist es, Schüler:innen für Literatur zu begeistern und gleichzeitig ihre Fähigkeiten im Schreiben von Fan-Texten zu fördern. In diesem Blogbeitrag werfen wir einen Blick auf die Grundlagen von Fanfiction.

Was ist Fanfiction?

Fanfiction sind Texte zu bereits bestehenden fiktionalen Welten der populären Medien. Fanfiction basiert auf Büchern, Filmen, Serien oder sogar Computerspielen, manchmal entstehen Geschichten zu Prominenten (Real Person Fanfiction). In den Texten der Fanfiction werden Charaktere und Handlungen weiterentwickelt, alternative Szenarien geschaffen oder bestehende Handlungsstränge ergänzt. Fans können ungelöste Konflikte klären, Figuren neue Eigenschaften geben oder völlig neue Charaktere – sogenannte Original Characters (OC) – einführen.

Doch Fanfiction ist mehr als nur das Weiterspinnen bekannter Geschichten. Es ist ein Ausdruck von Kreativität und ein Mittel, um eine tiefere Verbindung zu den Ursprungswerken herzustellen und zum Ausdruck zu bringen. Plattformen wie das deutschsprachige Portal FanFiktion.de beherbergen Hunderttausende solcher Texte, die von kurzen Drabbles aus genau 100 Wörtern bis hin zu epischen Mehrteilern reichen.

Begriffe und Mechanismen in der Fanfiction-Welt

Um Fanfiction besser zu verstehen, ist es hilfreich, sich mit den grundlegenden Begriffen und Konzepten vertraut zu machen:

Charaktere

  • Mary Sue/Gary Stu: Diese Begriffe beschreiben Charaktere, die oft übermäßig idealisiert dargestellt werden. Sie sind perfekt, ohne Schwächen, und meist wenig glaubwürdig. In der Fanfiction-Community wird diese Art von Charakter oft kritisch gesehen, da sie der Handlung Tiefe nehmen kann.

  • OC (Original Character): Ein OC ist ein selbst erstellter Charakter, der nicht im Originalwerk vorkommt. Diese Figuren erlauben es dem/der Autor:in, frische Perspektiven einzubringen oder bestehende Geschichten aus einem anderen Blickwinkel zu erzählen.

  • OTP (One True Pairing): Fans hegen oft Vorlieben für bestimmte romantische Beziehungen zwischen Charakteren – entweder solche, die im Originalwerk existieren, oder Wunschkonstellationen.

Karten mit sog. Tropes: Typische Handlungsmuster für Fanfiction.
Tropes/Handlungsmuster
Handlungsarten und Tropes

Fanfiction greift oft auf bekannte Handlungsmuster, sogenannte Tropes, zurück. Diese erleichtern es den Autor:innen, Texte zu strukturieren, und bieten gleichzeitig den Leser:innen Vertrautheit.

Beliebte Tropes sind:

  • Enemies to Lovers: Zwei Charaktere, die zunächst Feinde sind, entwickeln im Laufe der Handlung romantische Gefühle füreinander.

  • Alternate Universe (AU): Hierbei wird die Welt des Originals verlassen und Charaktere in alternative Realitäten versetzt (andere Zeit oder Genre), z. B. Harry Potter als Schüler in einer gewöhnlichen Schule.

  • Crossover: Es handelt sich hier um Texte, in der Figuren oder Elemente aus zwei (oder mehr) verschiedenen Fandoms/ Canons vermischt werden, zum Beispiel Harry-Potter Charaktere, die in die Welt von „Sherlock“ versetzt werden. 

Stimmungen und Formate in Fanfiction

Die Vielfalt von Fanfiction zeigt sich nicht nur in den Genres, sondern auch in den Stimmungen (moods) und Formaten. 

Typische moods
  • Hurt/Comfort: Eine Figur erlebt emotionale oder körperliche Schmerzen und wird von einer anderen Figur getröstet. Diese Geschichten sind oft emotional intensiv und beliebt bei Leser:innen, die auf Charakterentwicklung Wert legen.

  • Fluff: Texte mit einem leichten, warmen Ton, die darauf abzielen, die Leser:innen zu erfreuen und aufzubauen.

  • Dark: Oft düster und bedrückend, Texte, die mit ernsten Themen wie Verlust oder Trauma in Verbindung stehen.

  • Adventure/ Thrilling: Im Fokus stehen Gefahr und Nervenkitzel, in den meisten Fällen dreht es sich um eine spannungsgeladene und schnelle Handlung.

Formate

Die Flexibilität von Fanfiction zeigt sich besonders in ihren Formaten. Neben kurzen Drabbles, die genau 100 Wörter umfassen, gibt es abgeschlossene One-Shots oder komplexe mehrteilige Geschichten. Diese Vorgaben machen Fanfiction zu einem idealen Einstieg für Schreibanfänger:innen.

Texte schreiben, die verbinden

Fanfiction ist mehr als nur ein kreatives Hobby. Es ist eine Möglichkeit, Geschichten weiterzuerzählen, Emotionen auszudrücken und neue Perspektiven zu entdecken. Die Schreibwerkstatt des LpZ zeigt, wie dieses Potenzial genutzt werden kann, um Schüler:innen für Literatur und das Schreiben zu begeistern. Sie bietet Lehrkräften Werkzeuge, um ihre Schüler:innen individuell zu fördern, und trägt dazu bei, die Distanz zwischen klassischer Literatur und moderner Medienkultur zu überbrücken.

Fanfiction inspiriert uns, Geschichten nicht nur zu lesen, sondern sie auch selbst zu schreiben – und damit Teil einer größeren Gemeinschaft von Lesenden und Schreibenden zu werden. Die Schreibwerkstatt lädt dazu ein, diese Begeisterung zu teilen und zu erleben, wie aus Leser:innen kreative Autor:innen werden.