von Laura Schwerdtfeger, Universität Bremen
Fanfiction kann in vielen Sprachen verfasst werden. Am populärsten ist sicherlich Englisch; Fans aus aller Welt lesen überwiegend englischsprachige Fanfiction, weil sie dort die größte Auswahl vorfinden, besonders bei spezifischen Themen. Gleichzeitig schreiben viele selbst auf Englisch, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen. So könnte man meinen, dass Englisch DIE Sprache von Fanfiction ist und dieser Zustand sich teufelskreisgleich immer weiter verstärken dürfte. Denn je mehr auf Englisch verfasst wird, desto mehr Leser:innen gewöhnen sich daran und wählen später selbst Englisch als Schreibsprache. Oder?
Nicht ganz. Denn trotz seiner Verbreitung hat Englisch in der Welt der Fanfiction nicht den imperialistischen Status wie auf manch anderen Webseiten, auf denen man schon mal zu hören bekommt, dass das Internet amerikanisch sei und man gefälligst „richtiges“ Englisch zu sprechen habe. Im Gegenteil: Nicht nur auf nationalen Plattformen wie fanfiktion.de, sondern auch auf internationalen wie archiveofourown.org sind andere Sprachen als die Lingua Franca sowohl neben dieser als auch in sie eingebettet herzlich willkommen. Autor:innen können hier die eigene Sprache sichtbar und sinnvoll nutzen, statt sich allein der global dominierenden Sprache anzupassen.
Welche Sprachen wie akzeptiert bis erwünscht sind, hängt dabei stark vom Fandom bzw. dem Canon ab, also dem originalen Film, der Serie, dem Spiel, Buch oder Anime, auf dem die jeweilige Fanfiction basiert. Bei aller Variabilität lassen sich aber durchaus Trends von Fanfictionkultur im positiven Umgang mit Mehrsprachigkeit erkennen. Dieser Beitrag geht somit der Frage nach, welche Rolle andere Sprachen wie Deutsch in englischer Fanfiction spielen, was das für deutsche Fanfiction bedeutet und welche didaktischen Potenziale darin liegen.
Deutsch und andere Sprachen in englischer Fanfiction
Die Fanfiction mit dem wohl größten sichtbaren Bestreben nach anderen Sprachen dürfte eben jene mit einem Anime oder Manga als Canon sein. Bereits vor zwanzig Jahren hat Rebecca Black, damals noch Doktorandin der Universität Wisconin-Madison, davon berichtet, wie Fanfiction-Autor:innen in ihre Texte Japanisch oder Chinesisch einbauen, um diese mit kultureller Authentizität aufzuwerten. Autor:innen, die ihre Texte so hervorheben können, gewinnen dadurch wiederum Anerkennung und Wertschätzung für ihre Sprach- und Kulturkompetenzen. Ungeachtet ihrer Umstände offline können sie hier als Experten agieren, bei denen andere Fan-Autor:innen Rat suchen, um auch ihre eigenen Texte noch zu verbessern, indem sie kulturelle Konzepte, realistische Routinen aus dem Alltag asiatischer Länder oder eben auch Sprachschnipsel einbauen.
Das gilt Blacks Befunden nach übrigens auch, wenn der Canon selbst nie Sprachen mischt, sondern nur in seinem asiatischen Original und in ebenso einsprachiger Übersetzung vorliegt. Werden jedoch im Originalmaterial bereits mehrere Sprachen verwendet, fühlen sich Fans besonders motiviert, diese Vielfalt aufzugreifen. Hat man also einen Film wie Inglorious Basterds von Quentin Tarantino, dessen Charaktere teils Französisch, Italienisch und Deutsch sprechen, sollte jede dieser Sprache in korrespondierender Fanfiction erwartet werden. Allerdings besitzt Deutsch in diesem Kontext ein schlechtes Image: Fast alle Deutsch sprechenden Charaktere des Films sind Nazis. Und das lädt nicht gerade dazu ein, als Fanfictionautor:in hier eine Verbindung zum Deutschen zur Schau zu stellen.
Anders verhält es sich im Alienist-Fandom, basierend auf der Romanreihe von Caleb Carr und ihrer Netflix-Adaption. Dessen Protagonist Dr. Laszlo Kreizler ist als deutschstämmiger Psychologe im New York des 19. Jahrhunderts, der für Wissenschaft, Wahrheit und Gerechtigkeit argumentiert und einen Serienmörder verfolgt, eine deutlich sympathischere Identifikationsfigur. Auch spricht er in Buch und Verfilmung je etwas Deutsch – und so folgen ihm darin auch diverse Fanfiction.
Nun ist dieses Fandom recht klein, aber Deutsch hat auch einen Platz in größeren Fandoms erobert, etwa bei den X-Men. Deren Fandom hat auf Ao3 inzwischen extra Tags (eine Markierung vom Autor bzw. von der Autorin, dass das Besagte in der Fanfiction vorkommt), die Erik Lehnsherr speaks German und Kurt Wagner speaks German heißen.
Ein anderes großes Fandom mit einem besonderen Platz für Deutsch ist das des Marvel Cinematic Universe. Dort hatte die Sprache zwar auch über Captain Americas Kampf im zweiten Weltkrieg Einzug gehalten, aber sein maßgeblicher Sprecher ist inzwischen Baron Zemo, der als osteuropäischer Antagonist in Captain America: Civil War eingeführt wurde, aber spätestens seit seiner Rückkehr in The Falcon and The Winter Soldier als trickreicher Anti-Schurke populär geworden ist. Der Baron beherrscht neben Deutsch noch Russisch, Französisch und die fiktive Sprache Sokovisch, die stark am Serbischen orientiert ist.
All diese Sprachen kommen gemäß einer studentische Studie aus der Universität Bremen auch in Winterbaron-Fanfiction vor, also solcher, in der Baron Zemo und der ebenfalls im Marvel-Canon mehrsprachige Wintersoldat Bucky Barnes eine Beziehung pflegen. Deutsch fand die Studie dort in jedem achten englischsprachigen Fantext und häufiger gab es nur das Russisch des Wintersoldaten, das in fast der Hälfte der Texte integriert war. Insgesamt waren von den 300 Texten der untersuchten Stichprobe
nur 117 wirklich rein englisch,
126 bereits zweisprachig,
34 Texte dreisprachig,
12 viersprachig
5 fünfsprachig,
ebenso 5 sechssprachig
und ein Text enthielt sogar 7 verschiedene Sprachen.
Teils waren die zusätzlichen Sprachen dabei nur mäßig durch den Ursprungscanon motiviert. Spanisch etwa wird darin nie von den obigen Charakteren gesprochen, aber einer der Schauspieler aus den filmischen Adaptionen beherrscht es und scheinbar eignet es sich gut für ein paar der 51 sprachwechselnden Kosenamen in der Stichprobe. Dabei sei vermerkt, dass der häufigste dieser Kosenamen deutscher Herkunft war und zugleich das häufigste deutsche Wort in der gesamten Stichprobe: „Liebling“
Bisweilen bedienen sich Autor:innen solch kleiner Wörter oder kurzer Phrasen als Vortest. Kommt die eingestreute Mehrsprachigkeit in den Reviews der Leser:innen gut an, werden schon mal mehr oder umfänglichere Sprachwechsel eingebaut. So hatte in der obigen Studie jeder zwölfte Text auch längere Sätze in anderer Sprache und etwas über eine Handvoll enthielt ganze Konversationspassagen – teils ohne Übersetzung. Auch übersetzt der Fantext mit den meisten Sprachwechseln (www.archiveofourown.org/works/36116755?view) die fremdsprachigen Äußerungen am Anfang noch; in einigen späteren Kapiteln verzichtet er jedoch darauf. Diese Weigerung erfolgt an einer Stelle mit schallendem Gelächter darüber, dass Leser:innen im Dunkeln tappen, und an einer anderen mitsamt der vergnügten Aufforderung, die Sprache zu lernen. Die Reaktion? Einige Leser:innen necken zurück und manche nehmen die Herausforderung sogar an.
Auf dem Discordserver des obigen Winterbaron-Fandoms gibt es sogar ein eigenes Diskussionsforum für Sprachen in Fanfiction. Darin werden sprachübergreifende Wortwitze geteilt, Sprachlern-Apps verglichen und Fans finden auch direkte Unterstützung beim Sprachenlernen, sei es durch Erklärungen für bestimmte Grammatikphänomene, einen Chatpartner zum Üben oder einfach Mitgefühl und Motivation zum Weitermachen. Nicht zuletzt werden hier auch Übersetzungen für Fanfiction erfragt, bei denen Sprecher:innen der jeweiligen Sprache – als Experten – gerne und natürlich gratis helfen.
So können Fanfiction und ihre Gemeinden je nach Canon jedwede Sprache wertschätzen und fördern, egal ob sie für den Autor oder die Autorin Herkunfts-, Mutter- oder Zielsprache eines schulischen oder privaten Lernprozesses ist.
Mehrsprachigkeit in deutscher Fanfiction
Auch in deutscher Fanfiction ist solche Mehrsprachigkeit möglich. Auf Plattformen wie Ao3 verwenden deutschsprachige Autor:innen häufig englische Tags, um ihre Texte besser auffindbar zu machen und auf rein deutschsprachigen Plattformen wie fanfiktion.de bleibt der Bezug zur Welt außerhalb des Deutschen oft über den Canon erhalten. Ähnlich wie bei den Winterbaron-Texten gibt es situationsmotivierte Fremdsprachenverwendung. So wird in einer Fanfiction-Geschichte, in der die Charaktere nach Marokko reisen, Französisch gesprochen (www.archiveofourown.org/works/37676311). Wenn sie in Lettland oder Rumänien unterwegs sind, begegnen nicht nur ihnen, sondern auch den Leser:innen die jeweiligen Landessprachen (www.archiveofourown.org/works/30797969?view) und www.archiveofourown.org/works/31178996?view).
Sollten also deutsche Schüler:innen Fanfiction schreiben, in der ihre Lieblingscharaktere in ein anderes Land reisen, würde es sich anbieten, die jeweilige Landessprache einzubeziehen. Besonders reizvoll sind in interkultureller Hinsicht Interaktionen zwischen (fiktiven) Sprechern der eigenen und solchen anderer Sprachen. Das Land könnte dabei ein erwünschtes Urlaubsziel sein, in dem man eine Zweitsprache des Autors oder der Autorin spricht, oder auch eine verlorene Heimat von Schüler:innen oder Eltern, in der dessen bzw. deren Herkunftssprache gesprochen wird.
Mehrsprachigkeit in Fanfiction dient nicht zuletzt auch zur Selbstermächtigung migrantischer Communities. Dr. Wan Shun Eva Lam von der University of California hat mit Fallstudien seit 2000 gezeigt, wie asiatische Immigranten im englischen Sprachraum über Online-Communities selbstbewusste hybride Identitäten bilden können, in denen die Sprachen ihrer Herkunft und ihrer neuen Heimat im gegenseitigen Einklang gestärkt werden. Fanfiction bildet eine eben solche Community und besteht dazu noch aus Geschichtenerzähler:innen, ihren Geschichten und deren Leser:innen. Das ist entscheidend, wenn man den Vortrag von Dr. Veronika Künkel von der Universität Bayreuth auf der letzten Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik bedenkt: Dort hat sie dargelegt, wie literarische Geschichten durch die Immersion in den Charakter, aus dessen Perspektive erzählt wird, eine tiefere emotionale Verbindung zwischen Leser:innen und interkulturellen Erfahrungen herstellen können als moralische Appelle oder politische Diskurse, wodurch ein nachhaltigerer Einfluss auf die Menschen erzielt werden kann.
Insgesamt kann mehrsprachige Fanfiction somit einerseits direkt Sprachkompetenzen pflegen und antreiben, aber andererseits auch Selbstbewusstsein und Selbstreflexion, kreative Offenheit und Entfaltung sowie interkulturelle Sensibilität und aktive Begeisterung für im wahrsten Sinne andere Menschen fördern.
Referiert auf:
Black, R. W. (2005). Access and Affiliation: The Literacy and Composition Practices of English-Language Learners in an Online Fanfiction Community. Journal of Adolescent & Adult Literacy, 49(2), 118–128. http://www.jstor.org/stable/40017563
Künkel, V. E. (2024, 13. September) Nicht nur zum 'Be-greifen', sondern 'er-greifend'. Literarische Texte als Medium der Wissenskommunikation zu Mehrsprachigkeit und Interkulturalität? [Konferenzbeitrag]. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik, Dresden, Deutschland.
Lam, W. S. E. (2000). L2 Literacy and the Design of the Self: A Case Study of a Teenager Writing on the Internet. TESOL Quarterly, 34(3), 457-482. https://doi.org/10.2307/3587739
Lam, W. S. E. (2006). Re-Envisioning Language, Literacy, and the Immigrant Subject in New Mediascapes. Pedagogies, 1(3), 171–195. https://doi.org/10.1207/s15544818ped0103_2
Schwerdtfeger, L. K. (2025, 11. Januar) Multilingualism Representation in Non-profit Literature: An Exploratory Study on Code-switching in Professedly English Fanfiction [Konferenzbeitrag]. 16. Nordwestdeutsches Linguistisches Kolloquium, Bremen, Deutschland.